Einmal USA und wieder zurück
MORITZ PETASCH UND SEINE DUALE KARRIERE.
„Ich hatte weder eine Ahnung, wo Mildenau liegt noch, dass hier dermaßen viel Industrie ansässig ist.“ Moritz Petasch hatte das Klischee vom Landstrich der Männelmacher im Sinn, als er sich ins Erzgebirge aufmachte. Die Region überraschte ihn mit überdurchschnittlicher Industriedichte. Der 23-Jährige kam als Student und ist als Fachmann geblieben.
Um seine Beweggründe kennenzulernen, haben wir uns in Mildenau bei der Bräuer Systemtechnik GmbH – seinem Arbeitgeber und Praxispartner im dualen Studium – verabredet. Die Begrüßung mit Moritz Petasch ist sympathisch, wir sind sofort mittendrin im Gespräch.
Gekommen, um zu bleiben
Was verschlug den gebürtigen Bautzner ins Gebirge? „Während meines Au-pair-Aufenthaltes in den USA bekam ich einen Anruf von Bräuer Systemtechnik. Man war auf der Suche nach einem dualen Studenten, der fließend Englisch spricht und Auslandserfahrung hat“, berichtet er. „Auslöser für das Telefonat war mein Vater, ein Geschäftspartner von Herrn Bräuer, dem Firmengründer. Er erwähnte ihm gegenüber, dass ich in Philadelphia sei.“ Weil man Moritz unbedingt haben will, testet man Skype zum Kennenlernen. „Was heute nicht unüblich ist, war 2015 im Bewerbungsprozedere noch eine neue Sache“, bemerkt Michael Faßbinder, Geschäftsführer von Bräuer Systemtechnik. Für den jungen Mann kommt die Offerte zur rechten Zeit, denn sein Zwischenjahr nach dem Abitur ist fast vorbei. Endgültig darüber entschieden hat er aber noch nicht.
Wie weiter in Deutschland?
Bewerben an deutschen Hochschulen funktioniert auch über den großen Teich. Moritz Petasch liebäugelt in Richtung Wirtschaftswissenschaften; erhält aus Berlin und Dresden Zusagen. Parallel dazu befasst er sich mit der Option des dualen Studiums. „Ich hatte damals die Wahl zwischen Maschinenbau oder Industriemanagement. Ein Techniker bin ich nicht, sondern eher ein Marktwirtschaftler. Deshalb wurde es ‚Industriemanagement‘. So landete ich in Breitenbrunn.“ Als er dies erzählt, kann er sich ein Lachen nicht verkneifen. „Ja, der Kontrast war schon groß. Von meinem kleinen Bautzner Ortsteil Salga aus wäre Breitenbrunn okay gewesen. Aber ich kam aus Philadelphia. Da schluckt man schon erst einmal.“ Zum Glück hat er den Sport. Von Kindesbeinen an steht er auf den Ski, spielt Fußball, Golf und Tennis und fährt Mountainbike. Als „coole Sache“ erweist sich die Nähe zum Sportpark Rabenberg, einem Hotspot des Mountainbikings. Die Studienbedingungen an der BA Breitenbrunn passen ebenfalls. „400 Leute auf dem Campus, in meiner Klasse waren 16 Leute. Das war wie 1:1-Betreuung. Man konnte immer Fragen stellen, jeder Professor kannte dich beim Namen“, erklärt der ehemalige BA-Student.
Seine Studentenbude war eine 18 m²-Einraumwohnung in Annaberg-Buchholz. „Das war quasi meine Mitte zwischen Mildenau und Breitenbrunn. Je länger ich an der BA studierte, umso häufiger blieb ich vor Ort. Für ein Semester bekam ich einen Wohnheimplatz, was gar nicht so selbstverständlich war. Denn in der Regel werden diese mit Studienbeginn vergeben, meist an Leute, die von richtig weit weg kommen, wie z. B. Hamburg, Rostock oder so.“
Lernen im Hybridmodus
Wer dual studiert, erwirbt Wissen an zwei Orten. An der Hochschule wird Theorie vermittelt, die Praxis als Dreimonatsblock im Partnerunternehmen. Für mittelständische Firmen sind solche Studierende Gold wert. Michael Faßbinder bekräftigt dies: „Der Hauptvorteil von BA-Absolventen ist, dass sie sofort im Unternehmen loslegen können. Im Studium werden sie ganz intensiv auf die Praxis vorbereitet. Sie kennen bereits die Aufgaben und Probleme, die im Tagesgeschäft auftreten. Wir müssen sie nicht extra briefen, wie das bei Abgängern einer theoriebezogenen Hochschule oder Universität notwendig wäre. Bei Herrn Petasch ging es nur noch um Feinabstimmung. Das Thema seiner Bachelorarbeit ‚Implementierung eines Kostenstellensystems‘ konnte er direkt bei uns umsetzen.“
Ab nach South Carolina
Kaum eine Industrienation ist dermaßen international und wirtschaftlich vernetzt wie Deutschland. Ob Ex- oder Import – die Lieferketten sind global. Auch für erzgebirgische Unternehmen ist der Außenhandel von enormer Relevanz. Reisebereitschaft und interkulturelle Kompetenz sind Voraussetzung für viele Jobs. Für Moritz Petasch kommt der erste Auslandsaufenthalt schnell. Kaum ist sein Arbeitsvertrag unterzeichnet, fliegt er für drei Wochen nach Übersee, nimmt in Chicago an der FABTECH, Nordamerikas größter Messe für Metallbearbeitung, teil und betreut US-amerikanische und kanadische Kunden. „Die Niederlassung Bräuer Systemtechnik North America ist nahe eines Großkunden präsent. So können wir direkt mit den Locals reagieren. Und, Amerikaner kaufen gern von Amerikanern. Sie möchten die Menschen persönlich kennen, mit denen sie Geschäfte machen“, erzählt er und schließt an: „Im Kontext von COVID-19 wird sämtlichen Außenhandelsbeziehungen einiges abverlangt. Es gibt ständig etwas Neues. Zollbestimmungen, Produkt-Codes, Lieferkonditionen, Zertifizierungen. Auf die Kartons, die wir nach China versenden, müssen mittlerweile drei Aufkleber ‚Made in Germany‘.“ Klingt komplex und ist es auch. Doch vieles lässt sich leichter lösen, wenn gemeinsam daran gearbeitet wird. Das stärkt wiederum das Miteinander.
Ziemlich familiär hier
Auf die Frage, ob er leicht heimisch wurde, verrät er: „Man muss auf die Leute zugehen, um in Kontakt zu kommen. So hat sich manches ergeben. Die erste Zeit war ich relativ lange im Büro, aber ich hatte junge Kollegen.“ Durch das Team fasst er Fuß, ist beim Fußball in Aue oder beim Nachtski in Oberwiesenthal mit dabei. Und er erfährt, was „Typisch Erzgebirge!“ bedeutet. Jetzt weiß er, wann der (geschenkte) Schwibbogen aufzustellen ist, wo die Bratwurst in Annaberg am besten schmeckt, was es mit der Bergparade auf sich hat, dass man ab Oktober nicht nur Winterreifen aufzieht, sondern auch Schaufel und Schneeschippe im Kofferraum parat hat. „Ja, jetzt passt es für mich hier“, sagt er als einer, der angekommen ist.